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Janosch Boerckel: NONPLUSULTRA – Katalogtext für gute aussichten 2017/2018

Über die uneindeutige Visualisierung wissenschaftlicher Beweisführung

Fremdartig wirken die Dinge, die Janosch Boerckel auf seinen Fotografien festhält. Betrachtet man die Bilder genauer, lassen sich seltsame Apparaturen und Maschinen erkennen. Die Fotografien zeigen Roboter oder deren Einzelteile. Man sieht Laborsituationen mit und ohne Menschen, eine Ansammlung von Kugeln oder einzelne Minerale. Die abgebildeten Objekte bleiben in ihrer Funktion jedoch rätselhaft.

Janosch Boerckel hat sich als „Feldforscher“ in deutsche Laboratorien der Natur- und Humanwissenschaften begeben. Auf der Spur nach dem Fremden, das sich heute auch in Gestalt technologischer Forschungsobjekte zeigt, stellt seine Serie NONPLUSULTRA eine Momentaufnahme gegenwärtiger Forschungstätigkeit dar. Mit besonderem Interesse für den Forschungszweig des „Human Enhancement“ macht Boerckel das bildgebende Medium selbst zum Objekt seiner Recherche, indem er die Rolle der Fotografie als Instrument zur Visualisierung wissenschaftlicher Erkenntnis befragt.

Die Fotografie als bildgebendes Verfahren wurde bereits seit ihrer Erfindung in ihrer ureigensten Form, der Lochkamera, für die wissenschaftliche Beweisführung eingesetzt. Hier setzt Boerckels Feldforschung an: Sein Hauptinteresse gilt den bildgebenden Instrumenten. Dabei liegt in seinem heuristischen Vorgehen etwas Paradoxes – manche Fotografien Boerckels versuchen bildgebende Verfahren abzubilden. So zeigt eine seiner Fotografien eindrucksvoll einen ganzen Zirkel von Instrumenten zur Sichtbarmachung von Bewegungsabläufen (3D-Kameras) in einem Setting, das die Protagonisten zum Bildgegenstand macht. Gleichzeitig rückt der Betrachter, ob gewollt oder nicht, in den Fokus der Aufmerksamkeit, da alle „Kameraaugen“ auf ihn gerichtet sind. Die genaue Funktion der Apparatur kann dennoch nicht eindeutig festgelegt werden und bleibt, allein auf Boerckels Foto gestützt, für Interpretationen offen.

Uneindeutige Bilder gelten im wissenschaftlichen Kontext als kaum brauchbar. Hingegen werden Objektivität, Dokumentation und Evidenz als Merkmale angestrebt, nach denen wissenschaftliche Bilder analysiert werden (1). Die Serie NONPLUSULTRA ist zwar dokumentarisch angelegt, dennoch kann sie keineswegs als eine reine Dokumentation betrachtet werden. Boerckels Fotografien sind Inszenierungen in realer Umgebung oder gar reine Inszenierungen. Evident wird das durch die besondere Lichtsetzung, derer er sich als gestalterisches Mittel bedient: Durch seine gezielte Lichtführung moduliert er seine Objekte und weist ihnen eine bestimmte Rolle zu, die nicht zwingend mit der empirischen Behauptung kohärent ist. Durch Ausblenden oder Überstrahlen lenkt Boerckel ganz bewusst den Fokus der Bildbetrachtung. Der Gegenstand der Forschung ist dabei nicht zwangsläufig erhellt. Dass bei all seinen Bildern grundsätzlich auch eine Metaphorik des Lichts als Sinnbild der Erkenntnis mitschwingt, ist in Anbetracht des thematischen Gegenstands der Serie naheliegend.

Boerckels „Fotografien der Forschung“ stellen demnach nicht reine Visualisierungen faktischer Begebenheiten eines Ereignisses dar. Vielmehr macht er sich Klaus Sachs-Hombachs Bildbegriff von der visuellen Veranschaulichung eines Sachverhalts zu eigen (2). Dafür bedient sich Boerckel Metaphern oder Sequenzen. Inspiriert von Eadweard Muybridges berühmter Fotostrecke von 1878, die die Bewegungsphasen eines galoppierenden Pferdes zeigt, hat Boerckel eine Serie von Aufnahmen eines künstlichen Lebewesens geschaffen. Als Diaprojektion präsentiert, zeigen diese Bilder die Bewegungsabläufe eines Affenroboters, der im Maßstab 1:1 an die Wand projiziert wird. Zur Veranschaulichung dieser evolutionären Metapher des vierbeinigen Roboters, der sich in den zweibeinigen Stand begeben kann, hat Boerckel ein grafisches Raster in das Bild montiert, das jedoch nicht der realen Forschungssituation entspricht. Boerckel inszeniert hier und vermeidet somit bewusst die Abbildung der Wirklichkeit. Die Informationen über den tatsächlichen Sachverhalt werden dennoch vermittelt. Es entsteht ein Bilderwissen im Sinne Martin Kemps (3).

Damit „Bilder des Wissens“ richtig gedeutet werden können, muss ihnen ein kontextueller Rahmen mitgegeben werden. Der Kontext ist entscheidend, um eine Visualisierung korrekt einzuordnen. Janosch Boerckel zeigt jeweils 6 bis 7 Fotografien der Serie NONPLUSULTRA in drei Schaukästen. Zumeist wählt er für diese Präsentationsform Fotografien, die veranschaulichenden Charakter besitzen. Für den Betrachter ergibt sich beim Blick in einen Schaukasten, je nach Perspektive und Standort, immer ein anderer Kontext. So entstehen neue Korrespondenzen zwischen den einzelnen Fotografien – dabei ist es unerheblich, ob sie inszenierter oder dokumentarischer Natur sind.

Durch diese Kontextualisierungen schafft Boerckel ein neues Bilderwissen. Seine „Fotografien der Forschung“ bleiben in ihrer Fremdartigkeit dennoch rätselhaft. Für den Betrachter ist es nicht möglich, Bilder faktischer Wissenserkenntnis von jenen fiktiver Forschung zu unterscheiden. Ein eigener Entwurf des gegenwärtigen Forschungsstands entsteht, der zeigt mit wie viel Skepsis und Vorsicht man der Fotografie im Rahmen wissenschaftlicher Beweisführung begegnen sollte.

Foto: Janosch Boerckel, Dia-Projektion aus der Serie Nonplusultra, 2015-2017
© Janosch Boerckel