Tallinn

Duty Free auf hoher See: Auf ein Bier nach Tallinn – ein Reisebericht

Wer Low-Budget reist, muss mitunter Abstriche in Kauf nehmen. Dass man aber auch für kleines Geld viel geboten bekommt, beweist eine Fährfahrt von Finnland nach Estland.

Bevor es am frühen Abend in Helsinki an Bord geht, müssen noch die Bordkarten besorgt werden. Im Eingangsbereich des Terminals herrscht reges Treiben auf engem Raum wie auf einem Provinzflughafen. Überall wuseln Leute durch die Menge, doch die ordentlich formierten Schlangen vor den Schaltern gehen stetig voran. Keine zehn Minuten später ist man für knapp 20 Euro p.P. im Besitz der Tickets. Regelmäßig verkehren Fährschiffe zwischen Helsinki und Tallinn. Je nach Saison und Wochentag wird die Strecke von drei verschiedenen Reedereien bis zu siebenmal täglich befahren. Eine Fahrt dauert üblicherweise zwei Stunden. Eine weitere Variante der Ostseeüberquerung stellt eine Überfahrt mit Übernachtung dar.

Neugierig darauf, was einen in den nächsten 13 Stunden erwartet, betritt man den Wartesaal. Dieser ist bereits prall gefüllt. Auffällig ist, dass die meisten Passagiere statt Gepäck lediglich eine Art Sackkarre dabei haben. Langsam schieben sich die Wartenden die Gangway entlang. Ein einziges Mal kann man einen Blick auf das gigantische Gefährt, das einen auf die andere Seite der Ostsee verfrachten wird, erhaschen. Dann betritt man die MS Europa.

Ähnlich muss sich Jonas in der Bauchhöhle des Wales gefühlt haben. Da nirgends eine Beschilderung zu sehen ist, irrt man durch ein Labyrinth aus Gängen, die sich über mehrere Stockwerke erstrecken. Schließlich an seiner Kabine angelangt, erinnert diese an Schlafwagenabteile der Bahn. Das Bild einer Sardine in der Dose taucht kurz vor dem inneren Auge auf. Dennoch ist die Kabine – obwohl fensterlos – durchaus passabel und verfügt über ein eigenes Bad.

Schließlich geht es auf Erkundungstour dieser schwimmenden Kleinstadt. Im Getümmel der Konsumtempel lässt man sich im Strom der vom Kauf bereits Berauschten die Einkaufsstraße entlang treiben. Von Mumin bis Marimekko gibt es alles, was man sich unter typisch finnischem Design vorstellt und Touristenherzen höher schlagen lässt. Zudem wird klar, wofür die Sackkarren gebraucht werden: palettenweise Dosenbier für den Heimbedarf.

Nachdem man sich in einem der zahlreichen Restaurants gestärkt hat, geht es zum Abendprogramm über. Neben diversen Pubs, einem Casino und einem Western-Saloon gibt es einen großen Tanzsaal mit Bühne, Tanzfläche und darum gruppierten Tischen mit Clubsesseln – das Ganze im Achtziger-Jahre-Ambiente mit Diskokugel und bunt gemustertem Teppich. Lässt man den Blick schweifen, sieht man vor allem ältere Paare. Ein Gast erzählt, dass er und seine Frau diesen Trip regelmäßig unternehmen. Es lässt sich hier an Bord wesentlich günstiger Einkaufen als im teuren Finnland, das Abendprogramm sei vielseitig, die Stimmung gut und das Bier allemal bezahlbarer als in Helsinki. Außerdem sei die Band gar nicht so schlecht, wie er lächelnd bemerkt. In der Tat ist die Tanzfläche mittlerweile gerammelt voll. In den verschiedensten Formen des Standardtanzes wird zu Interpretationen von Tom Jones oder Elton John geschwoft. Tief in einen Sessel versunken, verfolgt man mit einem Auge das ausgelassene Treiben im Inneren dieses Moby Dicks, während man mit dem anderen den tiefroten Sonnenuntergang beobachtet. Langsam läuft die MS Europa im Hafen von Tallinn ein. Die Überfahrt ist damit noch nicht beendet, das Schiff kann erst am nächsten Morgen verlassen werden. Bis dahin darf man sich noch eine ganze Nacht lang amüsieren.

Frühmorgens geht es mit einigen noch nicht ganz ausgenüchterten Mitreisenden von Bord. Die letzten Stunden hatten nicht nur den Mehrwert eines ruhigen Plätzchens zum Schlafen, sondern zugegebenermaßen auch einen überraschenden Unterhaltungswert. Viele Passagiere verlassen gar nicht erst das Schiff, sondern treten direkt die Rückreise an. Für gute Unterhaltung ist sicherlich auch in den nächsten 13 Stunden gesorgt.